Einschätzungen eines Ahnungslosen: Garching 1 - Zugzwang 1

Montag, 26 November 2012 23:43 Benno

An Brett sieben zu spielen und einen Bericht über einen Zweitligawettkampf schreiben zu müssen, ist eine kaum lösbare Aufgabe. ‚An sieben‘ platziert man immer denjenigen, der die Figuren kaum geradeaus rücken kann, denjenigen, aus dessen Perspektive sogar schon an Brett 6 ein Kandidat für den nächsten Weltmeisterschaftskampf thront. Während an Brett 8 der Edelreservist siegessicher und mit glänzenden Fähigkeiten ausgestattet Platz nimmt und meist groß aufspielt, spielt sich an Tisch sieben regelmäßig die innere Kreisliga der Zweiten Bundesliga ab.

Am elenden siebten Brett wird auch häufig am längsten gespielt, da elementare Vorteile nicht verwandelt werden können; man sitzt mit enger Stirn und gesenktem Kopf brütend über dem unverständigen Holz und kann das, was die eigentlichen Könner in der Mannschaft produzieren, weder regelmäßig verfolgen noch auch nur ansatzweise verstehen, falls man sich doch einmal mit dumpfem Hirn neben ein anderes Brett gestellt hat. Unter diesen Bedingungen kann man natürlich nicht sehr kompetent über einen Wettkampf berichten – dennoch hier meine Eindrücke.

 

An Brett 1, wo Roland es mit dem langjährigen deutschen Nationalspieler und Großmeister Stefan Kindermann zu tun hatte, schien mir irgendwann etwas schief gelaufen zu sein. Drei Schwerfiguren des Gegners auf der Grundreihe meines Teamkollegen – da hatte ich Bedenken. Tatsächlich gab Roland auf; vorangegangen war eine Partie, in der sich der Weiße zunächst einen kleinen Positionsvorteil erarbeiten konnte, Rolands Leichtfigur keinen guten und sicheren Platz fand, und schließlich die etwas desperat agierende schwarze Dame entscheidend in Gefahr geriet.

 

Mit dem Geschehen am Nebenbrett wäre wohl auch so mancher nicht mit dem Makel des siebten Brettes behafteter Beobachter überfordert gewesen: Chris testete den wie immer bestens präparierten IM Stefan Bromberger in einer komplexen Variante des englischen Angriffes im Najdorf-Sizilianer. Für mich war nicht festzustellen, warum die weiße Stellung nach natürlichen Zügen plötzlich schlecht wurde, aber jedenfalls wurde sie’s, und der Punkt ging schließlich an die gegnerische Mannschaft.

 

Harald erzielte am dritten Brett den ersten (Teil-)Erfolg für Garching, und das gegen Großmeister Gerald Hertneck. Im angenommenen Damengambit opferte Hertneck einen Bauern in der g-Linie für Vorteile im Zentrum und Druck gegen die schwarze Stellung; als er noch einen zweiten Bauern auf der b-Linie anbot, schien mir Schwarz schon in erheblichen Schwierigkeiten zu sein. Die starke Rückgabe eines Zentralbauern mit e7-e5 führte mir aber meine Ahnungslosigkeit wieder vollends vor Augen – nach Damentausch und Entkommen des schwarzen Königs aus dem Zentrum war es plötzlich der weiße König, der in der Brettmitte verweilen musste; zudem musste Weiß eine Menge Raum verwalten und Blockaden des eigenen Zentrums vorbeugen. Aus unklarer Lage steuerte die Partie allmählich ins Remis.

 

Der g-Bauer wurde auch an Brett 4 geopfert, hier aber von Elena, die IM Markus Lammers von Anfang an mit den weißen Steinen unter Druck setzte. Auch hier erging es uns allerdings ähnlich wie am zweiten Brett: Was sich gut anließ, kam zu keinem glücklichen Ende. Schwarz verteidigte sich umsichtig und hatte schließlich klaren Materialvorteil, der auch sicher verwandelt wurde.

 

Thorsten (Brett 5) wählte im Guimard-Franzosen ebenfalls einen möglicherweise leicht spekulativen, aber thematischen Ansatz mit dem Opfern eines Zentralbauern. Zeitweise erhielt Schwarz gute Kompensation mit einem Läuferpaar gegen den leicht geschwächten weißen König, und letztendlich hätte es auch für eine sicher nicht unverdiente Punkteteilung gereicht – allerdings nur in komplizierten Varianten, die Thorsten am Ende der Partie nicht finden konnte.

 

Markus spielte am sechsten Brett das moderne Hauptsystem in der Vorstoßvariante des Caro-Kann, und erzielte auch einen programmatischen positionellen Vorteil in der c-Linie. Leider wählte er mit knapper werdender Bedenkzeit einen zu aktiven Ansatz, indem er die f- und e-Bauern vorschob. Das gereichte dem Schwarzen nicht nur zu Gegenspiel, sondern auch zu konkreten taktischen Gegenchancen, die nach einem Versehen von Markus den unglücklichen Partieverlust für uns bedeuteten.

 

Über meine eigene Partie kann ich nur sagen, dass man als Schwarzer am siebten Brett (!) nach 1. e4 e6 2. De2 mit ziemlich leerem Blick auf die eigenen Holzklötze starrt, und schließlich versucht etwas aufzubauen, das im Vergleich mit einem königsindischen Angriff oder geschlossenen Sizilianer nicht allzu schlecht abschneidet. Wie üblich lädt man anschließend durch träges Spiel erhebliche Materialopfer der Gegnerin ein, und während man denkt, man feiere gerade einen großartigen Beraubungssieg, stellt man mit groben Fingern fast den gesamten Vorteil wieder ein und beginnt anschließend freudig einen Königsmarsch durch die Brettmitte. Letztlich konnte ich so nach einigen Verwicklungen einen typischen Brett 7-Sieg einfahren.

 

Jochen konnte am achten Brett mit dem überraschenden Aufschlag 1. d4 einigen Druck gegen die Nimzoindische Verteidigung seines Gegners aufbauen, fand aber keinen klaren Weg, um einen positionellen Vorteil zu stabilisieren. Mit dem nötigen Siegeswillen ausgestattet, verunklarte Jochen durch Opfern des eigenen Isolanis die Lage auf dem Brett. Die geschwächte schwarze Königsstellung versprach durchaus Chancen, auch wenn mit präzisem schwarzem Spiel die weiße Lage anschließend nicht sehr angenehm gewesen wäre. Ein positioneller Fehler des Gegners (g5-g4, mit Aktivierung des weißen Läufers g3) brachte Jochen schließlich auf die Siegerstraße, und nach einigen Komplikationen rückte er dem schwarzen König entscheidend zu Leibe.

 

Insgesamt – der Spieler vom siebten Brett zählt es mit den Fingern ab und bildet die eine oder andere Zwischensumme – bleibt wieder nur ein 2,5-5,5 gegen uns. Bisher müssen wir unserem schweren Auftaktprogramm Tribut zollen, und können die sich uns bietenden Chancen nicht wie gewohnt nutzen. Wenn wir am zweiten Advent im winterlichen Erfurt antreten, könnte sich das aber schon ändern – und ich hoffe, dann spiele ich an Brett acht.